Es begann mit Malerei
Geboren wurde Sheela Gowda 1957 in Bhadravati, einer kleineren Industriestadt im süd-indischen Bundesstaat Karnataka und lebt bis heute hauptsächlich dessen Hauptstadt Bengaluru. Ihre Kindheit beschreibt sie als glücklich und „relativ priviligiert“. Ihr Vater arbeitete im Staatsdienst und so zog die Familie ständig von einer Stadt zur anderen, in der sie „herrliche Häuser“ bewohnten, welche die einst britischen Kolonialherren zurück gelassen hatten. Die Kultur kam zu ihr ins Haus. Als Schriftsteller, großer Sammler folklorischer Musik und Museumsgründer empfing ihr Vater oft Musiker und ließ seine Tochter ganz ungezwungen daran teilhaben. Die Malerei hielt sich zu dieser Zeit jedoch im kulturellen Hintergrund. Unweit ihres Elternhauses lernte sie bis 1979 an der Kunstschule „Ken School of Art“, studierte bis 1982 an der Visva-Bharati Universität in Ostindien und fand heraus, dass die Bildende Kunst nicht nur einen eigenständigen Beruf darstellt, sondern dass sie auch eine Form der Selbst- und Wegfindung, eine eigene Sprache und eine Art der Weltbetrachtung sein kann, die sich ein Leben lang (weiter) entwickelt. Ein Stipendium ermöglichte ihr zwei Jahre an dem Royal College of Art in London unter Peter de Francia zu studieren. Zur Weiterbildung hielt sie sich in Paris im Cite Internationale des Arts Paris auf – ein Komplex, der Künstlern aus aller Welt Unterkunft und Arbeitsräume bot. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann, den Schweizer Konzeptkünstler Christoph Storz, kennen. Drei Jahre lang malte sie „gegenständlich“, wie sie sagte. Hauptsächlich widmeten sich ihre Malereien sozialen Strukturen Indiens, der marginalen Stellung der Frau in der Gesellschaft. Gowda stellte für sich fest, dass die Leinwandmalerei und ihre Zweidimensionalität nicht das richtige Medium waren, um das auszudrücken, was sie an gesellschaftlichen Spannungen und Veränderungen wahrnahm.
Kuhfladen, Gold, Haare, Kurkuma oder Teerbehälter?
1998 stellte sie mit Kurkuma rot gefärbte, ineinander verschlungene Kordel in einem Raum aus mit dem Titel „Tell him of my pain“ („Erzähl ihm von meinem Schmerz“). Kurkuma dient in Indien mitunter der Kennzeichnung verheirateter Frauen. Im Gesamteindruck wie auch von Nahem erzählen diese Stränge Geschichten von Abhängigkeit und Unfreiheit. Es geht um Spannungsfelder – so auch bei schon früher entstandenen Werken mit Kuhdung, den sie als kritisches Gestaltungsmittel dem seit den 1990ern präsenten Hindu-Nationalismus entgegensetzt. 2006 verdeutlicht ihr „Dark Room“ die Enge und Verzweiflung eines armen Landes, das mit der Weltwirtschaft Schritt zu halten versucht. Die begehbare Konstruktion besteht aus alten, verrosteten Teerbehältern. In der Mitte des Konstrukts vermag sich der Besucher aufzurichten und blickt auf den spärlichen Lichteinfall von oben, der durch in das Metall gestoßene Löcher einfällt und den Sternenhimmel symbolisiert. Für ihre Werke erhielt sie seit 1985 einige Auszeichnungen. Zuletzt wurde sie 2019 mit dem Maria Lassnig Preis geehrt, der vornehmlich an Künstler inmitten ihrer Karriere vergeben wird. Sheela Gowda blickt auf eine lange Reise zurück – am Ende ist sie noch lange nicht.
Mehr Informationen unter: https://www.lenbachhaus.de/entdecken/ausstellungen/detail/sheela-gowda-it-matters
Signums sine Tinnitu stellt in dieser Serie die einflussreichsten Künstler unserer Zeit vor. Als Galerie für zeitgenössische Kunst fördern und publizieren wir Künstler aus allen Bereichen modernen Schaffens.