Richard Serra – Kunst bedarf keiner Rechtfertigung von außen

Date : 22. Oktober 2017

Richard Serra - einer der wichtigsten Künstler unserer ZeitDer am 2. November 1939 in San Francisco geborene US-amerikanische Kunstmacher Richard Serra gehört zu den wichtigsten Metallbildhauern des populären Minimalismus. Sein Stil ist geprägt von der Auseinandersetzung mit abstrakten Räumlichkeiten, die er in Form von riesigen Stahlskulpturen selbst kreiert und mit ihrer Umgebung in Beziehung setzt.

So platzierte er z.B. 2006 das Werk „Viewpoint“ bestehend aus 2 sich gegenüberstehenden Platten, hergestellt aus 40 Tonnen Stahl inmitten eines Kreisverkehrs in Bochum. Eine Hommage an die Industriestadt, in der Sierra bereits in den 1970ern riesige Stahlwerke und Schmiedebetriebe als Ateliers für seine großformatigen Skulpturen dienten. Ein anderes, neueres Werk „Bladerunners“ wurde im Zeitraum von 5 Jahren auf eine in Privatbesitz befindliche künstlich aufgeschüttete Insel in Miami installiert.

Entscheidend ist für den Künstler in seinen Werken, den tonnenschweren Stahl so zu verändern, dass eine Leichtigkeit im Auge des Betrachters entsteht. Er befreit das planliegende Material somit aus seiner industriellen Funktion, indem er es bis zur Unkenntlichkeit verbiegt und aus seiner versklavten waagerechten Position in die Vertikale erhebt. Damit schafft er neue Perspektiven, die sonst im Alltag niemand einnimmt. Durch Serras Skulpturen muss der Betrachter buchstäblich hindurchgehen, er muss sie erleben, sich in ihnen verirren und sich vor allem mit sich selbst auseinandersetzen.

Sierra`s Interesse gilt dabei hauptsächlich der Auseinandersetzung mit einer Ordnung, die den menschlichen Maßstab sprengt, jedoch will er mit seiner Kunst selbst keine Grenzen sprengen sondern er ist vielmehr daran interessiert, wie der Beobachter seine Werke wahrnimmt und welche Reaktionen sie bei seinem Publikum auslösen. So erschafft der Künstler „neue Wege des Sehens“.

Nach einem Studium der englischen Literatur von 1957 bis 1961 absolvierte der Künstler direkt im Anschluss ein Kunststudium an der University of Yale in New Haven und wurde dort Assistent des deutschen Emigranten, Malers und Kunsttheoretikers Josef Albers, an dessen Buch „the interaction of colour“ er ebenfalls mitwirkte. Schon während seines ersten Literaturstudiums arbeitete Sierra in einem Stahlwerk, um sich zu finanzieren und sammelte hier erste Erfahrungen mit dem vielseitigen Material, dass später eines der Hauptbestandteile seiner Kunst werden sollte.

Nach seinem Studium begann er zunächst mit verschiedenen Industriematerialien wie Blei oder Gummi zu experimentieren und prägte damit zusammen mit anderen Künstlern einen neuen Stil des Minimalismus. Während die damalige Generation überwiegend mit hochwertigen Industrieprodukten, Materialien und Stoffen wie Plastik oder auch rostfreiem Edelstahl arbeitete und den Fokus damit eher auf eine reine Form des Minimalismus lenkte, die oft einer Verschönerung des Materials diente, verfolgte Serra einen völlig neuen, gegensätzlichen Ansatz, der eher die Veränderung des Materials durch äußere Einflüsse in den Mittelpunkt stellte.

So wurden die Stoffe mit unkomplizierten Eingriffen aufbereitet und in einen Bezug zur Räumlichkeit gesetzt. Während seiner Schaffensjahre erweiterte Richard Serra seinen örtlichen Ansatz, bis hin zu wetterfestem Stahl, mit dem der heute 75 jährige Künstler immer noch arbeitet. Daneben gibt es eine Vielfalt seiner Malereien und Druckgrafiken.

Richard Serra experimentiert

Auch hier experimentiert Richard Serra mit der Frage, inwieweit die von uns wahrgenommene Ordnung in der Kunst Bestand hat. Seine Serie Drawings, ausgestellt im Metropolitan Museum of  New York im Jahr 2011 besteht nicht etwa aus Bleistift-oder Kohlezeichnungen, sondern aus riesigen Leinwänden, die der Künstler mit Ölfarbe bemalt hat. Serra wäre nicht Serra, wenn diese Ölfarben nicht eigens für ihn hergestellt werden würden.

Seine Kunst ist vor allem eines: sie ist teuer und sehr kostspielig in der Herstellung. Es dauert lange, die massiven Stahlplatten so zu verbiegen, dass die geschwungene Leichtigkeit entsteht, die seine Werke ausmachen. So vergeht von der ersten Skizze bis zur Fertigstellung bis zu ein Jahr, ehe das Ergebnis wirklich sichtbar wird. Alle Skulpturen werden vom Künstler selbst abgenommen. Dabei legt er größten Wert darauf, dass das Material vollkommen unbehandelt bleibt. Er sieht den natürlichen Rostprozess als Teil der Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten von Zeit und Raum. Und das von Anfang an. Behandeltes Material (etwa geölte Platten, die im Auge des Betrachters vielleicht unschön wirken) lässt er von seinen Auftragnehmern – der hiesigen Stahlindustrie, die auch für die Entstehung seiner aktuellsten Werke verantwortlich ist, wieder in ihren Ursprungszustand zurückversetzen, indem er das Öl aufwändig wieder entfernen lässt.

Während Serras Arbeiten der deutschen Stahlindustrie einen wirtschaftlichen Aufschwung beschert haben und als Handwerksstolz angesehen werden, sind seine Werke für andere problematisch. Gerade der Rostprozess, der von Serra als so wichtig für sein Gesamtkunstwerk empfunden wird, sorgt bei manchen Betrachtern für Unbehagen. Seine Installationen, so komplex und handwerklich professionell gefertigt sie auch sind, wirken auf manch einen fehl am Platz und stellen eben doch nur verrostende, monströse Stahlplatten dar. So wurde 1989 sein Objekt „Tillted Arc“ von der New Yorker Stadtverwaltung wieder entfernt. Für Serra heißt diese Entfernung gleichzeitig die Zerstörung seines Werkes, geht es ihm doch um die Beziehung der Skulpturen zu ihrer Umwelt, wozu auch der Grund gehört, auf dem sie angebracht werden.

Richard Serras Arbeit ist frei von politischen oder gesellschaftlichen Themen. Für ihn bedarf Kunst keiner Rechtfertigung von außen. Vielmehr ist er an Skulptur interessiert, die sich eben nicht dem Nützlichkeitsprinzip unterwirft, frei von inhaltlichen Facetten und Sinnzuschreibungen an das Material. Sich selbst sieht er dabei weniger als Bildhauer, sondern als Konstrukteur, der abstrakte Räume erfindet. Was ihn antreibt, ist die Verbindung von Formen, wie man sie bisher weder in der Architektur, noch in der Skulptur kannte. Seine Raumkonzepte sollen uns zum Denken anregen, – was sehen wir, wie können wir es verstehen? Ein wichtiger Aspekt für ihn dabei ist: „Kein Kunstwerk verändert die Welt aber die Gedanken darüber vielleicht.

Mehr Informationen unter: www.zeit.de/2007/31/RICHARD_SERRA

Signums sine Tinnitu stellt in dieser Serie die einflussreichsten Künstler unserer Zeit vor. Als Galerie für zeitgenössische Kunst fördern und publizieren wir Künstler aus allen Bereichen modernen Schaffens.

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