Carsten Höller – Der Wahrnehmungsforscher als Künstler

Date : 31. März 2022

Carsten Höller - einer der wichtigsten Künstler unserer ZeitDer deutsche Künstler Carsten Höller ist vor allem mit seinen interaktiven, großformatigen Installationen bekannt geworden. 1961 in der belgischen Hauptstadt Brüssel geboren und aufgewachsen, wo seine Eltern bei der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) beschäftigt waren, ging Höller nach dem Schulabschluß nach Kiel und studierte dort Agrarwissenschaften. 1993 machte er seinen Doktor. In der Habilitation beschäftigte er sich mit der Frage, auf welche Weise Insekten mithilfe von Gerüchen miteinander kommunizieren.

Schon in den achtziger Jahren beschäftigte Carsten Höller sich aktiv mit Kunst, damals zusammen mit seiner damaligen Freundin, der Künstlerin Rosemarie Trockel. Und obwohl er schon 1993 bei der Biennale in Venedig Arbeiten ausstellen konnte, hat er doch bis 1994 als Insektenforscher gearbeitet.

In den neunziger Jahren war Höller, gemeinsam mit anderen Künstern wie etwa der Amerikanerin Andrea Zittel und der Thai Rirkrit Tiravanija, einer der führenden Vertreter der Strömung der Relationalen Ästhetik, die die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen und ihren sozialen Zusammenhang untersucht, wobei der Künstler nicht im Zentrum steht, sondern eher als Katalysator fungiert. Aber anders als seine Mitstreiter konnte Höller auf seinen naturwissenschaftlichen Hintergrund zurückgreifen, der ihm als Inspiration für seine technisch teils anspruchsvollen Installationen diente. So entstand die Idee, das wissenschaftliche Experiment, den Versuchsaufbau, als Mittel der Kunst zu nutzen.

Und tatsächlich erinnern Höllers Arbeiten, bei denen es um Fragen der menschlichen Wahrnehmung geht, in ihrer Form oft an Versuchsaufbauten. Hierbei laden die Installationen – Im Sinne der Verhaltensforschung sogenannte „beeinflussende Umgebungen“ – ihre Betrachter dazu ein, als aktiv Mitwirkende an den „Experimenten“ teilzunehmen, wodurch sie einerseits Teil des Kunstwerks werden und andererseits eigene Erfahrungen machen, seien diese nun ästhetischer oder emotionaler Art. Denn Höller schafft in seinen Werken Situationen, die bekannte Erfahrungen infrage stellen und es den Betrachtern beziehungsweise den Teilnehmern erlauben, ihre Wahrnehmungen zu hinterfragen und neu kennenzulernen.

Die Anfänge von Carsten Höller

Bereits seit seinen künstlerischen Anfängen in den frühen 1990er Jahren umfasst Höllers Werk Gebäude, Fahrzeuge, Rutschen, Spielzeug, Spiele, Betäubungsmittel, Tiere, Performances, 3D-Filme, blinkende Lichter, Spiegel, Brillen und Tanks, deren Benutzer sensorischen Entzug erleben können.

Rutschen – Höller arbeitet gern mit korkenzieherartig gewundenen Exemplaren, etwa in der Londoner Tate Gallery – faszinieren den Künstler, einerseits aus ästhetischen Gründen, weil sie mit ihrer geschwungenen Form im Gegensatz zur rechteckigen Architektur der sie umgebenden Gebäude stehen, andererseits aber auch als alternatives Transportmittel in Gebäuden, anstelle von Treppen oder Aufzügen. „Rutschen sind Skulpturen, in denen man reisen kann“, stellt Höller fest. Darüber hinaus interessiert den Künstler gewordenen Verhaltensforscher auch der Vorgang des Rutschens an sich, erfordert er doch Loslassen und Kontrollverlust, ist mit Höhenangst verbunden und löst im Rutschenden eine Reihe von Emotionen – oftmals Freude – aus.

Spiegel und Blitzlichter dienen in Höllers Werk der Beeinflussung und Störung der optischen Wahrnehmung. Gern verwendet er verspiegelte Drehtüren oder Reihen von mit Spiegeln verkleideten automatischen Schiebetüren. Diese vermitteln denen, die durch sie hindurch schreiten, den Eindruck, durch eine unendliche Folge von Türen zu gehen.

Auch die Brillen dienen der Veränderung der Wahrnehmung. Sie können Gegenstände verzerrt, vergrößert oder verkleinert darstellen, die Umwelt seitenverkehrt oder auf dem Kopf stehend darstellen.

Seit der Mitte der Neunziger Jahre tauchen immer wieder auch Pilze in Höllers Arbeiten auf. Seitdem hat er mehrere Werke mit Fliegenpilzen fertiggestellt, die psychoaktive, halluzinogene Substanzen enthalten und denen nachgesagt wird, sie seien unter anderem von Schamanen in Sibirien und von vedischen Priestern in Indien verwendet worden.

Tiere finden sich in einer ganzen Anzahl seiner Installationen wieder, am bekanntesten wahrscheinlich in der Ausstellung „Soma“ im Hamburger Bahnhof in Berlin von 2010. „Soma“ bestand im Wesentlichen aus 12 Rentieren, 24 Kanarienvögeln, acht Mäusen und zwei Fliegen, die den Bahnhof bevölkerten. Ein Teil der Rentiere bekam Fliegenpilze ins Futter gemischt, deren psychoaktive Wirkstoffe sich im Urin der Tiere konzentriert ansammelten. Der Urin wurde aufgefangen und zum Gebrauch kaltgestellt. In der Mitte der Ausstellung erhob sich eine Plattform in Form eines Pilzes, auf der Besucher gegen eine Gebühr von 1.000 Euro übernachten konnten.

Als einer der gefragtesten Künstler der Gegenwart konnte Carsten Höller seine Installationen in Galerien, Museen und Ausstellungen in der ganzen Welt präsentieren. Beispielhaft seien hier nur die Biennale von Venedig, die Tate Gallery in London, die Expo in Hannover, die Documenta in Kassel, das Institute Of Contemporary Art in Boston und die Galleria Continua in Beijing genannt.

Heute lebt und arbeitet Carsten Höller abwechselnd in Köln und im schwedischen Stockholm sowie im Winter auch gern im Fischerort Biriwa an der Küste von Ghana in Ostafrika. Dort besitzt er zusammen mit dem Kölner Künstler Marcel Odenbach ein Ferienhaus.

Mehr Informationen unter: www.https://gagosian.com/artists/carsten-holler/ 

Signums sine Tinnitu stellt in dieser Serie die einflussreichsten Künstler unserer Zeit vor. Als Galerie für zeitgenössische Kunst fördern und publizieren wir Künstler aus allen Bereichen modernen Schaffens.

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