Christian Boltanski – fiktive Leben und der Tod
Der Künstler Christian Boltanski, geboren 1944 in Paris, erlangte seine Bekanntheit durch beeindruckende Installationen. Seine Werke sind aufgebaut auf seinen Erinnerungen an den 2. Weltkrieg und den Holocaust. Zudem setzte er sich intensiv mit seiner eigenen Vergangenheit und deren Rekonstruktion auseinander. 1967 begann er Vitrinen mit Objekten zu bestücken, um damit so etwas wie eine typisch bürgerliche Kindheit nachzustellen.
1968 waren Werke von ihm erstmals in einer Ausstellung zu sehen. Ab 1972 versteigerte er persönliche Gegenstände, erstellte Inventare seines eigenen Lebens, wie auch solche von fiktiven Personen und bot sie verschiedenen Museen als „Nachlass“ an. 1974 begann er damit, Vitrinen für eine Clownpuppe anzulegen. Später trat er mit der Figur in einer Performance auf und erschuf ein „anthropologisches Museum“.
Boltanski galt als Konzeptkünstler, war aber auch als Bildhauer oder Filmemacher aktiv. Seine künstlerische Materie war die Existenz, ihre Geschichte und deren Vergänglichkeit. Er arbeitete vorwiegend mit Gegenständen und Fotografien, doch war er anderen Medien ebenfalls zugetan. Für seine fast magisch wirkenden Installationen sammelte er alte Fotografien, Kleidung oder persönliche Gegenstände fremder Personen und konstruierte damit fiktive Biografien. Zentrale Themen seiner Arbeit waren Leben, Tod und Erinnerung, wobei er die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion verwischte.
Ab den 1990er Jahren setzte sich Boltanski allgemein mit den Themen Vergangenheit und Vergänglichkeit auseinander. Mit dem Konzept der Rekonstruktion entwickelte er selbst seine eigene Kindheit konsequent weiter und stellte die eigene Biografie neu dar. So trat er in den 70er Jahren zusammen mit einer Clown-Truppe auf. In einer Performance mit dem Titel „Zum Todlachen“, erfand er die eigene Kindheit stets aufs Neue und sagte dazu: „Ich habe so oft die Unwahrheit über meine Kindheit gesagt, dass ich keine echte Erinnerung mehr an diese Zeit habe, und meine Kindheit wurde eine Art universelle Kindheit, keine reale“. Mit seinen Inventaren versuchte Boltanski „Erinnerungen“ an ausgelöschtes oder verschwundenes Leben zu wecken. Etwa an dasjenige ermordeter Kinder des Holocaust, an die Einwohner eines kleinen Dorfes in der Schweiz, oder an die Arbeiter einer Teppichfabrik in Halifax.
Für den Neubau der Akademie der Künste in Berlin oder für das Deutsche Reichstagsgebäude erstellte er ständige Rauminstallationen, und für eines seiner berühmtesten Werke, den „Totentanz II“, schuf Boltanski 2002 mit Kupferfiguren eine Schattenspiel-Installation, die im Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna zu betrachten ist.
In Zusammenarbeit mit anderen Künstlern leitete Boltanski 2005 bei der Ruhr-Triennale das Projekt „Nächte unter Tage“. Im selben Jahr belegte er den 10. Platz in einem Kunst-Rankin und erhielt 1994 den Kunstpreis Aachen. 2006 bekam er den Praemium Imperiale in der Sparte Skulptur, welcher als Nobelpreis der Künste gilt.
Boltanskis von Spiritualität geprägte Arbeiten stehen in der Tradition namhafter Konzeptkünstler wie Joseph Beuys. Seine Werke werden in Sammlungen des Museum of Modern Art in New York, der Tate Gallery in London oder dem Centre Georges Pompidou in Paris gezeigt. 1988 wurde in den USA eine Retrospektive seiner Kunst in sechs Museen ausgestellt. Boltanski war mit der Künstlerin Annette Messager verheiratet. Sie lebten zusammen im Malakoff, einem Pariser Vorort, wo er auch arbeitete. Im Juli 2021 verstarb er im Alter von 76 Jahren.
Mehr Informationen unter: www.artnet.de/künstler/christian-boltanski
Signums sine Tinnitu stellt in dieser Serie die einflussreichsten Künstler unserer Zeit vor. Als Galerie für zeitgenössische Kunst fördern und publizieren wir Künstler aus allen Bereichen modernen Schaffens.