Christoph Schlingensief – ein Visionär, der Kraft aus dem Scheitern schöpfte

Date : 10. Mai 2022

Christoph Schlingensief - einer der wichtigsten Künstler unserer ZeitEr war ein rastloser, unnachgiebiger Regisseur und Aktionskünstler, der für seine Themen brannte und das Publikum mit extravaganten Filmen, Theaterstücken und Aktionen zu irritieren wusste. Christoph Schlingensief wurde 1960 in Oberhausen geboren. Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend – sein Vater war Apotheker, seine Mutter Kinderkrankenschwester – machte er seine eigene Person zur Kunstfigur. Als Visionär und Provokateur rüttelte er am deutschen Kulturbetrieb wie kein anderer. Er war Sprachrohr für die Außenseiter der Gesellschaft. Schon als Jugendlicher begann er, sich in experimentellen Filmsequenzen auszuprobieren. Er folgte seinen Ideen und ließ sich von seiner Neugier treiben. Dabei suchte er Grenzen, um sie auszutesten. Gleichzeitig prägte ihn die Zeit als Ministrant sehr stark. Hier war jeder Schritt und jede Handlung streng reguliert, und die Angst vor dem kleinsten Fehler war groß. Die Auseinandersetzung mit persönlichen Ängsten, aber auch mit Gott, begleitete Christoph Schlingensief ein Leben lang und spielte in den letzten Theaterstücken vor seinem frühen Tod eine zentrale Rolle.

Christoph Schlingensief – Werke

Die ersten satirisch ausgeteilten Hiebe erfährt das Filmpublikum Anfang der 90er Jahre mit Schlingensiefs Deutschland-Trilogie: „100 Jahre Adolf Hitler“ entzaubert gnadenlos den Führerkult. „Das deutsche Kettensägenmassaker“ macht aus der Wiedervereinigung ein blutrünstiges Aufeinandertreffen von egomanen Bestien. Und „Terror 2000“ ist trashig durchtrieben von Rassismus, Scheinheiligkeit und medialer Sensationssucht. Auch als Aktionskünstler grätschte er in festgefahrene Denkmuster hinein. Er nahm dabei immer wieder Bezug auf Joseph Beuys. Bei der Aktion „Mein Filz, mein Fett, mein Hase – 48 Stunden überleben für Deutschland“ verstörte er „die verfransten Kunstapostel“ der Documenta in Kassel und legte den Zynismus der bundesrepublikanischen Gesellschaft bloß. Für den künstlerischen Aufruf „Tötet Helmut Kohl“ wurde er dort von der Polizei kurzzeitig festgenommen. Seine 1998 in einem Zirkuszelt gegründete Partei „Chance 2000“ gab mit dem Wahlspruch „Scheitern als Chance“ jedem die Möglichkeit, sich selbst als Direktkandidat aufzustellen. Damit sollten insbesondere „alle, die sich von der herrschenden Gesellschaft erniedrigt, entrechtet und beleidigt fühlen“ im wahrsten Sinne des Wortes eine Stimme bekommen und mobilisiert werden. Ähnlich konfrontativ waren Schlingensiefs Theaterstücke. In den Stücken „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ und „Mea Culpa“ setzt er sich mit seiner Krebserkrankung auseinander, die 2008 diagnostiziert wurde. Er trat dafür ein, dass Kranke nicht an den Rand gedrängt werden, sondern ihr Leben als auch ihr Sterben autonom gestalten.Vor seinem Tod 2010 rief Christoph Schlingensief die Planung eines außergewöhnlichen Opernhauses in Burkina Faso ins Leben. Ein Ort der Bildung und der Begegnung.

Christoph Schlingensiefs Wirkung

Das Operndorf wächst im Sinne des erweiterten Kunstbegriffs täglich. Für Bewohner und eingeladene Künstler ist das Zusammentreffen eine gegenseitige Bereicherung. Christoph Schlingensief war ein Visionär mit Gespür für Gerechtigkeit. Der anfangs Verspottete ist über seinen Tod hinaus aus der Kulturszene nicht mehr wegzudenken. Auf einem überdimensionalen Röntgenbild seiner Lunge zeichnete er kritisch seine Lebenswege nach und forderte dazu auf, die eigenen und die Ansprüche anderer ständig zu hinterfragen. Wer seine Wunde zeige, stehe auch zu dem Zweifel in ihm, wirklich stabil zu sein. „Wir sind nicht so stabil wie uns dieser Globalismus oder diese Gesellschaft permanent erzählt. Wir rennen Ansprüchen hinterher, die nichts mit unserer Lebenslinie zu tun haben.“

Mehr Informationen unter: https://www.schlingensief.com

Signums sine Tinnitu stellt in dieser Serie die einflussreichsten Künstler unserer Zeit vor. Als Galerie für zeitgenössische Kunst fördern und publizieren wir Künstler aus allen Bereichen modernen Schaffens.

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